Medizingeschichte



Einfluss der westlichen Medizin in Ägypten
seit Beginn des 19. Jahrhunderts
Aktualisierte Online-Version mit anschließender analytischer Abhandlung meiner Dissertation ( Doktorarbeit ):
Gesundheitsüberwachung in Ägypten seit dem Feldzug Napoleons ( 1798 bis 1801 ) bis Nasser (Bereits 1989 als Taschenbuch, mit dem Titel: Ägypten. Gesundheitsdienst seit dem Feldzug Napoleons, erschienen):




doc04arbeitsbuch






Inhaltsverzeichnis:

1: Einleitung

2: Gesundheitswesen unter den Franzosen

21: Die Expedition Napoleons nach Ägypten ( 1798-1801)

211: Napoleons Absichten

212: Die medizinische Versorgung

2121: Die Errichtung von Krankenanstalten in Alexandria
2122: Die Behandlung von Schäden durch Sonne und Säbel
2123: Das Krankenhaus von Kasr-el-Aini in Kairo

213: Die erste Epidemie und ihre Folgen
214: Entscheidende Wende und das " Institut d' Egypte "
2141:Beschreibung des Moristan und anderer Anstalt

2142: Medizische Instrumente und Medikamente

2143: Die einheimische Medizin zu Beginn des 19.Jahrhunderts

21431: Der Hakim und einige Behandlungsmethoden
21432: Die Hakima oder Hebamme
21433: Der Zauberer oder Schlangenbeschwörer
21434: Der Kräuterhändler

215: Die zweite Epidemie und die Einführung der Quarantäne
2151: Erste Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pest

2152: Gesetzliche Maßnahmen zur Verhütung der Pest
2153: Einführung der Sante´ Publique ( öffentliche Gesundheitswesen )

216: Andere Epidemien
2161: Gelbfieber

2162: Pocken
2163: Skorbut

217: Ende der Expedition und Beginn der britischen Belagerung ( 1801-1807)

22: Die Zeit von Mohammed Ali ( 1806-1849)
221: Umweltschutz und Städtesanierung im 19. Jahrhundert
222: Clot Bey, der französische Leibarzt und Chirurg

2221: Die einheimische Medizin gegen Mitte des 19. Jahrhunderts

22211: Geister und Dschinns

22212: Geisteskranke

22213: Schmerzbekämpfung
22214: Krankheiten allgemein
22215: Augenentzündungen und Gerstenkorn

22216: Gehbehinderung

22217: Allgemeines über "Gegenmittel"
22218: Zaubermittel, Talismane, "das böse Auge ( Blick )" und Weihrauch
2222 : Abgrenzung von Derwisch, Zauberer; Hakim, Hakima und anderen Heiltätigen
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

22221: Der Derwisch und der Zauberer
22222: Die Hakima (Hebamme)
22223: Der Hakim (Arzt) und der Misajen (Barbier)

22224: Der Uleman und andere Geistliche
22225::Das Leben im aegyptischen Dorf

223: Conseil Sanitaire
224: Der Tierarzt Pierre-François Hamont und die Beschreibung einiger endemischer Krankheiten
225: Intendance Sanitaire


3: Gesundheitswesen unter den Deutschen

31: Von den Nachfolgern Mohammed Alis bis zur britischen Herrschaft (1849-1882 )
311: Die deutschen Ärzte
312: Die italienischen Ärzte
313: Al-Bakli und andere ägyptische Ärzte
32: Die Lage bis zur Eröffnung des Suez-Kanals (1849-1869)
33: Von 1870 bis zur britischen Herrschaft (1882)
34: Die Zeit der britischen Herrschaft (1882-1948)
341: Dr. Robert Koch und die französische Kommission
3411: Unterstützung der Kommissionen

3412: Quarantäne, Wasserwerke und Abwassersysteme

34121: Die drei Quarantäneanstalten von Alexandria
341211: Die Anstalt von Gabbari
341212: Die Anstalt am Meer ( Ras-el-Tin )
341213: Die Anstalt von Chatby
34122: Die Wasserwerke von Alexandria und Kairo
341221: Das Wasserwerk von Alexandria
341222: Das Wasserwerk von Kairo
34123: Abwassersysteme
341231: Abwassersysteme von Alexandria
341232: Abwassersysteme von Kairo

342: Die britischen Ärzte
343: Deutsche Ärzte im ägyptischen Staatsdienst

4: Gesundheitswesen unter den Ägyptern

41: Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg bis zum Ende der Monarchie ( 1918-1952 )
411: Das Gesundheitsministerium wird gegründet (1936 )
412: Funktionen des Gesundheitsministeriums
42: Große Reform des Gesundheitswesens unter Nasser und seinen Nachfolgern ( 1953 bis heute )

421: Das Gesundheitsministerium
422:Hauptaufgaben
4221:Gesundheitsüberwachung auf dem Lande
42211: Gesundheitsamt
42212: Sanitätsstation
4222: Gesundheitsüberwachung in den Städten
42221: Wasserhygiene
42222: Entsorgung
42223: Krankheits- und Seuchenvorbeugung
422231: Krankheitsüberträger
4222311:Warmblüter
42223111: Ratten und Mäuse
42223112: Hunde
42223113: Katzen
42223114: Reit- und Herdentiere
4222312: Arthropoden ( Gliederfüßer ) von medizinischer Bedeutung

422232: Übertragbare Krankheiten
4222321: Die meldepflichtigen Krankheiten
4222322: Schutzmaßnahmen
4223:Schwerpunkte im ganzen Land
42231: Gastroenteritiden
42232: Parasitäre Erkrankungen
422321: Bilharziose ( Schistosomiasis )
422322: Ankylostomiasis
42233: Augenerkrankungen ( Ophthalmien )
42234: Fanilienplanung und Geburtenregelung
42235: Rattenbekämpfung

5 : Schlussbemerkung und Diskussion

6: Anhang

61: Literatur


62: Anmerkungen

63: Ägypten-Bildergalerie

_____________________________________________________________________________________________________
1: Einleitung

In dieser Abhandlung soll die Entwicklung der Gesundheitsüberwachung in Ägypten vom Beginn
des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart beschrieben werden.Gleichzeitig wird versucht, einen Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und den Herrschenden sozialen Umständen herzustellen. Denn Gesundheit ist der Zustand körperlichen, psychischen und sozialen
Wohlbefindens eines Menschens ist ( WHO-Definition ).

Diese Zeitspanne wurde deshalb ausgesucht, da Ägypten zu Anfang des 19.Jahrhunderts
nach der Herrschaft des osmanischen Reiches einen neuen Aufschwung nach jahrhunderte
langer feudalistischer Herrschaft erlebte. Der Auslöser dieses Aufschwungs ist die franzö-
sische Expedition unter Napoleon nach Ägypten.

Hier stellt sich die Frage, inwieweit der Durchbruch der modernen Medizin in Ägypten gelung-
en ist. Diese Frage soll anhand der Entwicklung der Medizin in diesem Lande seit der Erober-
ung durch Napoleon untersucht werden, da Ägypten heute den Entwicklungsländern zugeordnet
wird.

Napoleons Eroberungszug war von einer Expedition mit gut ausgerüsteten Forschern begleitet,
was seine Absicht verdeutlicht, Ägypten zu erforschen. Unter den Begleitern befanden sich
Gelehrte und Fachkräfte verschiedener Wissenschaften mit hochwertigen Geräten, auch Maler,
die das Land bildlich darstellen sollten, Architekten und Ingenieure. Durch eine beträchtliche
Anzahl von Berichten und Bildern, die in Europa veröffentlicht wurden, ist das Interesse der
Europäer nach und nach mehr auf Ägypten gelenkt worden. Insbesondere die auf den Bildern abgebildeten Hieroglyphen erweckten die Neugier der Europäer. Die zufällige Entdeckung des Rosetta-Steins und die daraus resultierende Entzifferung der Hieroglyphen ( 1824 durch
Champollion ) lockte dann zahlreiche Europäer nach Ägypten.

Unter den Forschern, die Napoleon begleiteten, waren auch zahlreiche Mediziner, deren Wirk-
en und Forschen in dieser Abhandlung zunächst aufgezeigt wird.

Zuerst sollen die Methoden der Epidemiebekämpfung dargestellt werden.Weiterhin wird die
Errichtung von Krankenhäusern beschrieben. Darüber hinaus wird über die einheimische Medizin,
die von Napoleons Ärzten erforscht wurde, berichtet. Im Anschluss daran wird die Herrschaft Mohammed Alis, des Begründers der neuen ägyptischen Dynastie, beschrieben. Weitere Punk-
te behandeln die Anwerbung europäischer Ärzte sowie die zu dieser Zeit getroffenen Städte-
sanierung und Umweltschutzmaßnahmen. Parallel dazu wird die Entwicklung der einheim-
ischen Medizin verfolgt. Hier soll untersucht werden, ob die autochthone ( einheimische ) Heil-
weise weiter unabhängig bestand oder ob die moderne Medizin einen Einfluss auf sie ausübte
oder sie gänzlich ersetzt hat.

Weiterhin wird beschrieben, wie das durch die Franzosen Schritt für Schritt eingeführte Gesundheitswesen im Laufe der folgenden Jahrzehnte weiter ausgebaut und straffer organisiert
wurde.

Es wird dann untersucht, ob die in der Regierungszeit Mohammed Alis getroffenen Maßnahmen
von seinen Nachfolgern beibehalten und verbessert wurden oder ob sie nach und nach verfielen.
Bei dieser Untersuchung zeigt sich, dass nunmehr nicht nur Mediziner aus Frankreich und
Italien, sondern inzwischen auch namhafte Deutsche wie Griesinger und Bilharz in Ägypten tätig waren. Ihre Tätigkeit sowie das Wirken einheimischer Ärzte wird bis in die Zeit vor dem Bau des Suezkanals verfolgt. Danach wird die Entwicklung während der englischen Herrschaft, zu deren Beginn Robert Koch in Alexandria mit seinen Forschungsarbeiten tätig war, aufgezeigt. Es
werden öffentliche Einrichtungen wie Wasserwerke, Kanalisationssysteme und Quarantän-
einrichtungen beschrieben. An dieser Stelle werden auch die Verdienste englischer Ärzte wie Sandwith und anderer wie die Verdienste weiterer deutscher und ägyptischer Ärzte erwähnt.

Der historische Teil dieser Abhandlung schließt mit der Gründung des Gesundheitsministeriums
im Jahre 1936 ab und versucht nochmals zu zeigen, inwieweit die moderne Medizin Einfluss auf
die bisherige Heilweise in Ägypten hatte.

Im systematischen Teil wird kurz auf die Organisation und die Funktionen des Gesundheits-
ministeriums der Gegenwart eingegangen. Ferner werden die Gesundheitszentren sowie die Gesundheitsüberwachung in den Städten,d.h. Wasserhygiene, Entsorgung und die Seuchen-
bekämpfung, beschrieben. Weiterhin erfolgt ein kurzer Abriß über die wichtigsten Seuchen, Krankheitsüberträger sowie übertragbare Krankheiten. Dabei liegen die Schwerpunkte auf landesweiten Erkrankungen wie Gastroenteritiden, parasitären Erkrankungen und Augen-
erkrankungen. Der systematische Teil schließt mit Hinweisen auf Maßnahmen des Gesundheitsministeriums hinsichtlich der Familienplanung.

Als Informationsmaterial für diese Abhandlung diente zunächst Primärliteratur aus der Universitätsbibliothek Köln, dem British Council Köln und der Staatsbibliothek Kairo. Die daraus folgende Sekundärliteratur wurde von verschiedenen Stellen in Kairo und Alexandria sowie in
Köln in der medizinischen Bibliothek besorgt. Weitere Informationen über das Land selbst habe
ich durch eigene Erfahrungen und Beobachtungen während meines langjährigen Aufenthalts in
Ägypten und späteren Reisen dorthin gewonnen.

Diese Veröffentlichung konzentriert sich vor allem auf das Niltal, von Alexandria und dem Nil-
delta bis Assuan. Nicht berücksichtigt sind die Wüstengebiete mit den Oasen ( wobei Fayum
zum Niltal gerechnet wird ) sowie die Sinai-Halbinsel. Diese machen zwar 96% der Fläche des
Landes aus, doch leben dort nur 0,2% der Bevölkerung ( Beduinen, Berber und kleine Gruppen
der hamitischen Bischarin-Stämme ) Anm. 1.

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2: Gesundheitswesen unter den Franzosen

21: Die Expedition Napoleons nach Ägypten

211: Napoleons Absichten

Am 1. Juli 1798 landete Napoleon in Alexandria. Noch vor Tagesende hatte er die Stadt erobert,
( 79 ) was für seine große Armee keine Schwierigkeit war ( Anm. 2 ) , wenn auch die Bevölker-
ung, die aus den stolzen Mamelucken, Türken, Arabern und Kopten bestand, allen Grund hatte, Widerstand zu leisten ( Anm. 3 ).Napoleon sah "... eines der schönsten Länder der Welt, das
sich schon zur Zeit der Römer in Dekadenz befand, ruiniert unter den Osmanen..." ( Anm. 4 ).
Obwohl zum Osmanischen Reich gehörend, wurde Ägypten praktisch von den Mamelucken
regiert. Napoleon wollte die Bevölkerung des Niltals von dieser Tyrannei befreien und sorgte
schon auf See dafür, dass die Soldaten von seinen Absichten erfuhren, und Informationen da-
rüber erhielten, wie sie sich vor dem Volk verhalten sollten ( Anm. 5 ). Gleich nach Ankunft in Alexandria ließ er eine Proklamation verlesen ( Anm. 6 ). Wie ernst seine Absichten waren,
zeigte sich daran, dass er sich, um seine Ziele zu erreichen, von Gelehrten der Kommission
der Kunst und Wissenschaft vom Institut National und anderen Fachkräften begleiten ließ
( 21, 66, Anm.7 ).

212: Die medizinische Versorgung

An Bord der " Orient " wurde Napoleon von seinen engsten Militärberatern, den Hauptdelegierten
der Kommission ( Anm. 8 ) und Oberärzten und Chirurgen ( Anm. 9 ) begleitet. Darunter befand-
en sich der " Medecin en chef " Desgenettes ( Anm. 10 )und der Chefchirurg Larrey( Anm. 11 ).
Das Ziel dieser geheimnisvollen Expedition erfuhren Napoleons Begleiter erst auf See. Offen-
sichtlich ahnte Larrey aber schon vorher die Absichten Napoleons, denn er hatte rechtzeitig
eine Reihe junger Chirurgen angeworben, so dass bei Antritt der Reise in Toulon bereits 108
Chirurgen an Bord der Flotte waren ( 66, 8 ). Außerdem hatte er sorgfältig die nötige medizin-
ische Ausrüstung für seine " fliegende Ambulanz " ( Anm. 12 ) und Dienstpersonal für den Notfall eingeteilt, während Desgenettes sich um die Medikamente und um die Organisation der übrigen medizinischen Versorgung gekümmert hatte. Drei Schiffe dienten als " schwimmende " Hospitäler.
Auf einem dieser Schiffe brachte Larrey fast seine gesamte Ausrüstung unter, die er für die
Expedition eventuell brauchen würde.

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Desgenettes und Larrey ( 91 )

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2121: Die Errichtung von Krankenanstalten in Alexandria

Da Larrey wusste, dass die Expedition nach Ägypten geht, hatte er sich genauestens über
dieses Land informiert ( Anm.13 ) ; und da er es als seine zweitwichtigste Aufgabe ansah, den Gesundheitsdienst zu überwachen, konnte er so seine Chirurgen vor allem über den Einfluss
des Klimas auf die Gesundheit der Europäer, die jetzt an Land gegangen waren, und über die
" Pestilenzen " des Landes genau unterrichten und sie entsprechend vorbereiten.

Die zunächst rund 250 Verwundeten brachte er in einem Kapuzinerkloster unter. Als am nächst-
en Tag einige der Soldaten an den Ruinen Wache schoben, wurden etliche von Skorpionen
gestochen. Der Stich, so Larrey,"...erschreckte mehr, als dass er Schaden anrichtete ". Die
Soldaten wurden am Ort nur mit " mariniertem Wasser, Säuren oder alkalischen Substanzen "
behandelt.

Als nächstes organisierte Larrey zusammen mit Desgenettes den Gesundheitsdienst der anderen Krankenanstalten, die sie errichtet hatten, im Zentrum von Alexandria und schloss jeder Division
eine Ambulanz an. Mitte des Jahres 1801 hatten sie 28-30 Hospitäler errichten lassen.


Die Division von General Dugua segelte von Aboukir aus an der Küste entlang, um Rosette zu
erobern. Dort errichtete Desgenettes ein Hospital für die Kranken dieser Division ( 22, 66 ).

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2122: Die Behandlung von Schäden durch Sonne und Säbel

Napoleon ließ General Kleber als Befehlshaber in Alexandria zurück, und Larrey übertrug einem jungen Oberchirurgen die Leitung der Krankenhäuser. Napoleon begann seinen Marsch nach
Kairo ohne Proviant und Wasser zur heißesten Jahreszeit am 6. Juli und nahm eine Abkürzung
über Damanhour durch die trockenste Wüste der Erde ( Anm.14 ), anscheinend in Unkenntnis
des Effektes dieser Umstellung auf seine Truppen, die sich noch nicht akklimatisiet hatten. Der Marsch nach Damanhour dauerte fünf Tage, als sie außerhalb des Niltals plötzlich nur noch glüh-
ende Sonne und heißen Sand vorfanden. Sie sahen Fata Morganen, die nach anfänglichem
Entzücken nur noch größte Enttäuschung und vor allem aber Erschöpfung brachten. Für man-
che kam jede Hilfe zu spät. Später erschwerten Überfälle durch reitende Araber die Lage. Larrey leistete unverzüglich ärztliche Hilfe. Es gelang ihm sogar, einige mit Wasser und einigen Tropfen Weingeist, den er in einer kleinen Ledertasche bei sich trug, zu reanimieren. Ebenso verabreichte
er " éther sulphurique alcoolisée " oder " liqueur minéral d' Hoffman ". Die Belagerung von Daman-
hour brachte dann Erleichterung, da sie dort genügend Wasser und Erholung fanden.

In Damanhour brachten sie die wenigen Verwundeten in eines der " größten " Gebäude zur Übernachtung. Das rechtzeitige Eingreifen der Division von Desaix rettete sie vor den Mameluck-
en. Nach diesem Kampf ums Überleben tranken und badeten die Soldaten im Nil bei Rahmanieh. Einige musste Larrey auf der Stelle im Feld operieren. So konnte er den meisten von ihnen das
Leben retten. Damals bemerkte er zum ersten Mal den vorteilhaften Einfluss des ägyptischen Klimas auf Wunden. Erstaunt sahen die Chirurgen, mit welcher Schnelligkeit die Wunden im Vegleich zu Europa hier heilten." ...Alle, die Hilfe brauchten wurden versorgt, Freund und Feind "...

Der Marsch nach Kairo ging weiter. Diesmal zogen sie am Nil entlang, wo sich der vielen Wassermelonen als Hauptmahlzeit bedient werden konnten. Nach heftigen Kämpfen gegen die Mamelucken hatte die Truppe 20 Mann verloren, während auf Seiten der Gegner wesentlich
größere Verluste zu verzeichnen waren. Ein kleines Fass " eau-de-vie " verhalf sehr vielen er-
schöpften Soldaten zu erneuter Erfrischung. Nach diesem erschöpfenden Marsch trafen sie an
den Pyramiden auf noch größeren Widerstand ( Anm.15 ).

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Napoleon vor den
Pyramiden ( 21 )

Viele Soldaten hatten schwerste Säbelverletzungen erlitten, Wunden, die den französischen
Chirurgen völlig fremd waren und schwierige chirurgische Eingriffe erforderten ( Anm.16 ). In-
zwischen war die Truppe von dem Regiment aus Aboukir eingeholt worden, darunter Desgenettes
( 91 ). Nach dem Sieg am 21. Juli 1798 verwandelte er zusammen mit Larrey Mourad Beys
Palast
bei Gisa in ein Krankenhaus für die rund 260 Schwerverwundeten um ( 70, 66, 63, 91 ).

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Mourad Bey ( 68 )

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2123: Das Krankenhaus von Kasr-el-Aini in Kairo

Vier Tage später besetzten die Franzosen die nicht verteidigte Hauptstadt Kairo. Die Stadt war, obwohl verarmt und mit Schütt und Müll überfüllt ( 80 ), reich an prachtvollen Bauten ( s. Bilder ). Daher war es kein großes Problem, geeignete Gebäude zu finden, die in Krankenhäuser um-
gewandelt werden konnten. Eines dieser Gebäude war Ibrahim Beys Palast in Kasr-el-Aini, ein
großer zweistöckiger Gebäude, das über 200 Kranke aufnehmen konnte und gleichzeitig als
Schule für jüngere Chirurgen diente. Hier brachten die Ärzte und Chirurgen die Patienten aus
Giseh unter, die mit größter Sorgfalt operiert und behandelt wurden. Da unter den Verletzten auch viele Mediziner waren, ordnete Napoleon am 28. Juli 1798 die Aussendung von 20 Chirurgen, 30 Apothekern und 10 Ärzten von Frankreich nach Ägypten an ( Anm.17 ).

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Häuser (65 )

kairo19

Kairo Anfang des 19. Jahrhunderts ( 21 )

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213: Die erste Epidemie und ihre Folgen

Bei Gisa litten die Truppen zwar an Erschöpfungszuständen, Diarrhöen und leichten Dysenterien, wobei man sich nicht einig war, ob die Ursache im Trinken von Nilwasser oder dem Verzehr von Melonen zu suchen sei ( Larrey war von letzterem überzeugt ) -waren aber noch von keiner
Epidemie heimgesucht worden. Von den Kranken, die sich in Kasr-el-Aini befanden, litten viele
an Augenerkrankungen. Larrey überwachte mit Sorgfalt die Verletzungen der wenigen Verwund-
eten, vor allem aber die Soldaten mit Augenerkrankungen, da diese Übel seit dem Kampf bei
Gisa epidemische Ausmaße anzunehmen begannen, so dass zum Ende des Jahres 1798 nur
wenige von ihnen verschont blieben. Bei fast allen traten entzündliche Veränderungen der Binde-
haut auf, die auf die Hornhaut übergriffen und bei einigen, zur Erblindung führten. Larrey erkannte, dass es außer den venerischen Infektionen auch noch andere, entzündliche Formen gab und
suchte deren Ursache zunächst in dem grellen Sonnenlicht und der durch die Hitze verursachten übermäßigen Schweißsekretion. Ebenso erkannte er, dass die Symptome andere als bei den in Frankreich bekannten und vorkommenden Bindehautentzündungen waren. Er behandelte sie so,
wie es zu dieser Zeit üblich war, und ließ die Erblindeten sofort als Invaliden nach Frankreich zurückkehren ( 66 ). Im Laufe des Jahres 1798 war die Epidemie praktisch verschwunden, um
dann wieder während der darauffolgenden Überschwemmungsperiode aufzutreten. So schlug
Larrey als Prophylaxe gegen " Ophthalmie " folgendes vor: das Einwirken von hellem Licht und
Staub auf die Augen zu vermeiden; sich während der Nacht von Kopf bis Fuß gut zu bedecken
und eine Binde vor den Augen zu tragen; sich von feuchten und sumpfigen Gegenden fernzuhalt-
en, Schwitzbäder in der geeigneten Jahreszeit zu nehmen , übermäßigen Genuss von Wein und anderen alkoholischen Getränken zu vermeiden; auf scharfe und schlecht verdauliche Lebens-
mittel zu verzichten; den Magen am frühen Morgen durch ein Tonikum wie Kaffee und Aufgüsse
von Bitterstoffen zu stärken; und schließlich, sich häufig die Augen und den ganzen Kopf mit lauwarmem Wasser und Essig zu waschen (59).

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214: Entscheidende Wende und das Institut d'Egypte

Am 1. August des Jahres 1798 überraschten die Briten die Franzosen und vernichteten die ge-
samte französische Flotte in der Aboukir-Bucht. Damit versank so die ganze medizinischen Ausrüstung, welche sich scheinbar sicher auf den Schiffen befand, im Mittelmeer. Ebenso wurde jegliche Verbindung nach Frankreich unterbrochen. Von nun an musste alles vom ägyptischen Festland aus beschafft werden.

Im Folge darauf gründete am 22. August 1798 Napoleon in Kairo das Institut d'Egypte ( 59 ) mit
dem Vorsatz, alles über das Leben der Ägypter - von der fernen Vergangenheit bis zu seiner Zeit gründlich zu erforschen ( Anm.18 Desgenettes und Antoine Dubois waren für die medizinische Abteilung zuständig. Als Dubois Ägypten verließ, übernahm Larrey seine Stelle ( Anm.19 ).

garten
Der Garten des " Institut d'Egypte " ( 53 )

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2141: Beschreibung des Moristan und anderer Anstalten

Nach Napoleons Weisungen mussten die Ärzte nun nach weiteren Möglichkeiten suchen, um
die zunehmende Zahl von Verwundeten und Kranken unterzubringen.

Durch ihre Forschungen hatten die Mediziner festgestellt, dass zu jener Zeit der Moristan von
Kala-un als einzige große Krankenanstalt in Kairo übrig geblieben war ( 73, 53, 110, 51, 14 )
Anm.20( s. Abb. 1-2 ).

Es existierten aber viele kleine " Kliniken ", die ca.16 bis 20 Kranke aufnehmen konnten.Sie
waren ursprünglich für Frauen gedacht, nahmen später aber auch arme Leute und erkrankte
Reisende - sowohl Frauen als auch Männer - ( 53 ) auf.

Desgenettes besichtigte den Moristan am 27. Oktober 1798 und berichtete: "... ich begab mich
zum Scheich Abdallah-El-Scharkawi, der mich selbst zum Moristan hingeführt hatte,dessen
Boden ich sicher als erster Christ betrat ... der Moristan ist ein großes Gebäude, das ziemlich schlecht im Viertel der Großen Moschee gelegen ist und aus acht Haupträumen, die bequem 100 Kranke aufnehmen könnten, besteht ... Vier Räume waren für die Männer vorgesehen und vier für
die Frauen, mit einer gemeinsamen Küche. Ich habe 25 Betten gezählt, die teilweise mit einer schlechten Matratze bedeckt, aber häufig auch nur mit einer einfachen Matte versehen waren. Es waren fünfzig Betten aus Stein hergerichtet mit durchbohrten Platten, ähnlich wie ihre Latrinen,
und auch für den gleichen Gebrauch vorgesehen.... Der Moristan von Kairo ist noch bekannter
als der von Damaskus. Ursprünglich war er für die Geisteskranken bestimmt. Später wurden in
diesem Gebäude alle Kranken untergebracht. ... Ich habe 27 Kranke und 14 Schwachsinnige darin gesehen, was insgesamt 41 ausmachte. Die Anzahl der Patienten lag selten darunter. Obwohl
diese Anstalt einst sehr schön war, hat man sie, trotz großzügiger Spenden, durch Misswirtschaft verkommen lassen. Von den Kranken sind einige blind, eine größere Anzahl der Patienten von
Krebs befallen, der durch seine Entwicklung die Nase hatte verschwinden lassen. ... Man hatte
mich in zwei kleine Höfe geführt, in denen sich 18 Logen für eine gleiche Anzahl geisteskranker Männer wie Frauen befanden: Es waren sieben Männer und sieben Frauen darin. ... Die Logen der Frauen waren nicht alle mit Gittern versehen, einige Frauen waren, obwohl angekettet, nicht wie die Männer an die Wände gefesselt ... " ( 22 ).

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2142: Medizische Instrumente und Medikamente

Die Suche nach Material ließ den Wissenschaftler und Mediziner der Expedition nicht lange auf sich warten lassen. Sie fanden, dass besonders in Kairo, ganze Stadtteile mit Handwerker- Werkstätte oder Läden überhäuft waren. Es gab Gegenden wo eine große Anzahl von Schneider, Schneiderinnen, Bügler, Zimmermänner, Bäcker u.a. Wand an Wand arbeiteten. Vor allem aber die Schmiede und Einzelhändler aus der Gegend der Kupferschmiede ( auch Gold- und Silber- schmiede) bzw. der Kräuterhändler war für die Ärzte von besonderem Interesse. Denn da- durch war das Problem den fehlenden Instrumenten und Heilmittel zunächst gesichert ( 66, 53).
kupfer kraut

Das Viertel- der Kupferschmiede und das - der Kräuterhändler Heute


2143: Die einheimische Medizin zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Die Franzosen benötigten nun nicht nur Gebäude und Material, sondern auch dringend Ärzte.
Aus dieser Zwangslage heraus entschloss man sich, einheimische Ärzte einzusetzen. Doch die ägyptischen Ärzte waren, aus der Sicht der Ärzte und Wissenschaftler der Expedition, keine
Ärzte im europäischen Sinne. Es gab verschiedene Personengruppen, die sich mit der Heilkunst befassten, von denen im folgenden Beispiele herausgegriffen werden.

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215: Die zweite Epidemie und die Einführung der Quarantäne

Zu Beginn des Jahres 1799 hatte Napoleon eine Auseinandersetzung mit dem Chirurgen Boyer,
der sich geweigert hatte, einige Soldaten zu behandeln, die angeblich eine ansteckende Krank-
heit hatten. " Er ist nicht würdig, ein Arzt zu sein ...", meinte Bonaparte .

Der Chirurg Masclet in Alexandria reagierte anders. Er hatte zwar den Verdacht auf eine sich ausbreitende Ansteckung, wirkte aber ruhiger, denn in einem Brief an Larrey bemerkte er, dass
die militärischen und administrativen Kräfte " endlich " Maßnahmen gegen diese ansteckende
Krankheit unternommen hätten, die man zunächst zu sehr vernachlässigt hätte. Man wollte nicht glauben, dass dies die Pest gewesen sei und war zunächst überzeugt, dass der Tod einiger
Chirurgen nicht durch die Pest, sondern durch eine " andere maligne Fiebererkrankung " einge-
treten sei.

Aus Briefen verschiedener Divisionen ging hervor, dass die empfohlenen Vorkehrungen nicht gründ-
lich getroffen wurden. Dies hatte zur Folge, dass die Infektion, die sich in einem Fall zunächst auf
ein Wäschelager beschränkt hatte, wobei der Wächter und sein Gehilfe den Tod fanden, sich von
dort aus weiter verbreitete. Im " Krankenhaus Nr. 2 " zählte man unter den Erkrankten aus den
Lagern 4, 61 und 88 bereits bis zu 45 Todesopfer. Die Mediziner meinten, dass vor allem die Ma-
trosen, das Pflegepersonal, Pförtner ( oder Wächter ), Köche, die in den Krankenhäusern, aber auch außerhalb beschäftigt waren, sowie die Angestellten der Bäckereien 
  ( Anm. 25 )   gefährdet seien ( 66, 106, 43 ). Etwa vier bis fünf Männer starben proTag. Vorwiegend waren Kinder und junge Erwachsene
von der Pest befallen, Greise sehr selten. Eine Möglichkeit der Ansteckung war angeblich dadurch
gegeben, dass Soldaten unvorsichtig mit den Händlern umgingen. Ferner wurde bemerkt, dass die gerade eingelieferten Patienten am anfälligsten waren, vor allem solche, die sich in einer " Diathese- " oder " Skorbutphase " befanden. Im " Krankenhaus Nr. 3 " war der Chirurg Niehl dennoch von der
Pest geheilt worden, was allen zunächst etwas Mut gab. Niehl erlitt jedoch einen Rückfall und starb dann später. Die Verwundeten im " Krankenhaus Nr. 1 " waren glücklicherweise noch nicht befallen, so dass Masclet sie in Quarantäne bringen konnte. Damit wurde zum ersten Mal seit der Ankunft
der Franzosen das französische Quarantänesystem in Ägypten eingeführt.

Es folgt nach einer Beschreibung der ersten Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pest ( 2151
ein Abschnitt über die gesetzlichen Maßnahmen ( 2152 ), die zur Einführung der Santé Publique
( 2153 ) geführt haben.

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2151: Erste Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pest

Die Pest breitete sich seit Ende Januar 1799 weiter aus, und Larrey schrieb aus Kairo:

"Ich bekam aus Alexandria, Damiette und Mansura Nachricht, dass sich dort und anderswo
eine maligne Fiebererkrankung, die sich mit Karbunkeln oder Beulen in den Leisten und Achseln manifestierte, langsam auszubreiten drohte. Gefährlich war dies nicht nur in Alexandria, wo auch
viele Ärzte an der Pest starben, sondern auch in Kairo, wo zwischen zwei bis drei Fälle von Pest-
erkrankungen aufgetreten waren. Ein Fall betraf einen Soldaten, der gleich ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Er hatte einenschwarzen Pickel auf der Lippe, der sich zu einem Karbunkel entwickelte. Am darauffolgenden Tag starb er. Ich habe die Leiche schnell weggebracht, seine
Kleider und persönlichen Sachen und sein Bettzeug verbrannt und das Zimmer, in dem er isoliert
lag, fumigieren lassen. Von diesem Vorfall und über meine Ängste erzählte ich nur meinem Chef-
arzt. Nichtsdestoweniger unternahm ich den Schritt, Rundschreiben an alle Oberchirurgen zu
senden, damit sie die Patienten mit solch einem Fieber entsprechend zu behandeln und Vorsichts-
maßnahmen gegen Ansteckung zu treffen wussten."

Da man die Ätiologie der Pest und ihre Therapie noch nicht kannte, ignorierte man zu dieser Zeit
in Ägypten die Pest und unternahm nichts gegen sie. Man isolierte die Kranken in der Hoffnung,
die Pest würde von selbst wieder verschwinden. Als diese Krankheit später epidemische Ausmaße annahm, sorgte sich Larrey als Leiter des Gesundheitsdienstes sehr wegen dieser " gleichgültigen " Haltung ( Anm. 26 ).

Napoleon selbst reagierte anfangs verständnislos auf das Drängen des Kriegskommissars
Michaux, aus Furcht vor der Pest in seinem Hause zu bleiben. Napoleon fragte: " Warum kämpft
er nicht auf der Seite der Pompeius-Säule? ", denn dort waren noch keine Krankheitsfälle auf-
getreten. Lediglich für eine Brigade, die sich in einem verseuchten Gebiet befand, ordnete er an,
nackt im Meer zu baden, die Kleidung gründlich zu waschen und sich täglich die Füße, die Hände
und das Gesicht zu reinigen. Die Befolgung dieser Anordnung ließ er überwachen ( 79 ). Der Arzt Masclet tat alles, was er konnte, die Infektion Einhalt zu gebieten. Er dachte, es sei das Beste,
sich zusammen mit den Kranken zu isolieren, um ihnen zu helfen; jedoch wurde auch er betroffen
und starb.

Larrey musste dann Napoleon nach Syrien folgen und überließ die Leitung des Gesundheits-
dienstes in Kairo dem Oberchirurgen Casablanca. Inzwischen befand sich Desgenettes in
Damiette, wo sich die Pest ebenfalls auszubreiten begann. Dort erichtete er auch ein Kranken-
haus. In Alexandria hatte er durch die Pest bereits 150 Männer verloren. In Damiette führte er die prophylaktischen Maßnahmen durch, die zu dieser Zeit üblich waren. Und zwar ließ er die Häuser säubern, die Leichen beseitigen und die Uniformen der Kranken verbrennen, letzteres zum Ent-
setzen der Militärs. Als die Armee im Februar 1799 nach Syrien marschieren mußte, begleitete Desgenettes das Regiment, um die aus Kairo Kommenden zu treffen. Zum Zeitpunkt der Begeg-
nung in El-A-rych waren drei weitere Soldaten seiner Division an der Pest gestorben. Inzwischen
war die durchschnittliche Zahl der Toten auf sechs bis fünfzehn pro Tag gestiegen. Plötzlich
starben dann innerhalb von zwei Tagen 200 Männer, darunter 58 Ärzte und Chirurgen. Die Bevölk-
erung Ägyptens war am schwersten betroffen. In der kurzen Zeit der Epidemie waren 40.000 Tote
zu beklagen. Die Mönche schlössen sich in ihren Klöstern ein und weigerten sich, zu helfen. Das Pflegepersonal desertierte und weitere Ärzte starben. Desgenettes und Larrey zeigten sich den-
noch mutig.

Sie mussten für alles selbst sorgen. Die Nahrung wurde mit hölzernen Pinzetten angefasst,
und Papier wurde in Essig getränkt. Offizielle Notizen wurden zwischen Bajonett und Münd-
ung des Gewehrs geklemmt und so übermittelt. Die Situation war weitaus schlimmer als man übersehen konnte, und die Ängstlichsten wurden als erste von der Pest befallen. Aber auch
die robustesten Männer bekamen Angst, und die Gesündesten fielen der Pest zum Opfer. Die
Epidemie wurde dann etwas schwächer, nahm aber bald darauf wieder zu, und zwar in einem Ausmaß, das verheerende Folgen bei Saint-Jean-d'Acre ( Palästina ) brachte.

Desgenettes begann eine psychologische Kampagne, um die Männer zu beruhigen. Im Gegen-
satz zu Larrey weigerte er sich, das Wort " Pest " zu gebrauchen und sprach von " bubonischem Fieber " oder der " Drüsenkrankheit ". Auch Napoleon versuchte, die Kranken moralisch zu stärk-
en. Im Krankenhaus bei Jaffa in Syrien hielt er sich eine Stunde lang im Saal der Pestkranken
auf ( er soll auch beim Helfen einen Karbunkel angefasst haben ). Um zu zeigen, dass die Pest angeblich nicht ansteckend war, inokulierte sich Desgenettes in Acre zweimal mittels einer
Lancette mit dem Eiter eines konvaleszierenden Pestkranken, einmal in der Leiste und einmal
in der Achsel. Er trank sogar den Rest eines Getränkes aus dem Becher eines Pestkranken
( 43, 66 ).

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2152: Gesetzliche Maßnahmen zur Verhütung der Pest

Auf Napoleons Wunsch sandte Larrey am 22. März 1799 ein Rundschreiben an alle Chirurgen.
Darin wurde vorgeschlagen, dass alle fünf Tage über die Zahl der Kranken im Regiment, die Art
der herrschenden Krankheit und über ihren Fortschritt und Ausgang berichtet werden sollte. Anschließend machte Larrey dann Vorschläge zu einer möglichen Therapie.

Über die Ansteckung durch die Pest waren die Mediziner geteilter Meinung. Larrey war der Auffassung, dass diese Krankheit, wenn sie einen gewissen Grad erreicht hätte, ansteckend
wäre. Dementsprechend ordnete er Vorsichtsmaßnahmen an. Die Soldaten sollten aufmerksam gemacht, jedoch nicht über die Motive informiert werden. Ihre Gesundheit sollte den Chirurgen anvertraut werden. Wichtigste Maßnahmen waren vor allem Sauberkeit, Diät und Gymnastik
sowie das Verbot, jegliche Kleidung türkischer Herkunft anzuziehen ( Anm. 27 ).

Außerdem sollten die Soldaten darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Schlafen in den Löchern, die sie in die Erde gruben, ungesund wäre ( Anm. 28 ). Larrey stellte fest, dass die
Epidemie abnahm, wenn kalte Winde aus dem Norden wehten und wieder zunahm, wenn sie
aus dem Süden ( Khamsinwinde ) kamen (s.  Anm. 29).

Um die Durchführung der Vorsichtsmaßnahmen zu sichern, wurden sie gesetzlich verankert
 Zu Beginn der Epidemie starben fünf bis sechs von zehn Pestkranken. Im weiter-
en Verlauf konnten jedoch mehr als zwei Drittel geheilt werden. Dieser Erfolg soll hauptsäch-
lich dem tüchtigen Chefarzt Desgenettes, der selbst die Behandlung der Kranken in der Fieberabteilung leitete, zu verdanken gewesen sein.

Die Inokulation gegen die Pest hielt Larrey eher für gefährlich denn für eine Schutzmaßnahme
( Anm. 30 ). Die oben erwähnte Prophylaxe hielt er für am besten geeignet. Sehr wirkungsvoll
seien, " mit Sorgfalt durchgeführt ", alle Arten von " Drainage " oder " durch Reibung erzeugter künstlicher Hautausschlag " als Vorbeugung gewesen. Es sei auch von Nutzen für diejenigen,
die sich nicht der Infektionsquelle entziehen konnten, gewesen, Kauterium oder ein Dauer-
blasenpflaster auf den Krankheitsherd zu legen. Der übermäßige Genuß von alkoholischen Ge-
tränken sollte vermieden werden und besonders der Verzehr von Fleisch- und Milchprodukten;
man sollte viel Kaffee und auch einen Aufguß von Salbeiblättern morgens in nüchternem Zustand trinken, sich weiterhin häufig den ganzen Körper mit Wasser und Essig waschen, nicht in der " morbiden " Periode ( Khamsinwinde, s.o. 3. Absatz Anm. 29 ) im Meer baden, häufig Wäsche und Kleidung wechseln, an trockenen und belüfteten Orten schlafen, alle Aufregungen vermeiden und
bei jedem leichten Symptom von Hautausschlägen oder Belag ein leichtes Emetikum einnehmen und
einen gründlichen Einlauf durchführen. Aus diesen Gründen sollte man immer eine Portion
emetischer Körner in den Gegenden, in der die Pest endemisch war, mit sich tragen.

Die mit Hilfe der britischen Flotte durchgeführte große Offensive der Türken führte zum Rückzug
nach Ägypten. Nach weiteren Strapazen aufgrund von Wüstendurchquerungen und Irrwegen, die wieder großen Mut von den Franzosen verlangten, kamen sie in Matharieh an, wo sie zwei Tage rasten konnten. Als Vorsichtsmaßnahme gegen mögliche Infektionen erhielten die Soldaten den Befehl, ihre Leinen und ihre Kleidung zu waschen und alle Gegenstände, die sie nicht auf diese
Art " reinigen " konnten, zu verbrennen. Anschließend war es nicht mehr nötig, Quarantäne zu verhängen, und die Truppen marschierten in Kairo ein."... Mit großer Freude sahen sie ihre alten Kameradenwieder... " ( 66 ) ( Anm. 31).

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2153: Die Einführung der Santé Publique ( öffentliche Gesundheitswesen )

Der nächste Schritt gegen die Pest-Erkrankung war die Suche nach ihrer Quelle und deren Beseitigung. Mit dieser Aufgabe wurde eine außerordentliche Kommission betraut, die von
Napoleon mit Hilfe der syrischen Kompanie gegründet worden war. Zunächst bestand ihre
Aufgabe lediglich in der allgemeinen Organisation der Maßnahmen zur Durchführung der Verordnungen. Die Kommission bestand aus dem Oberbefehlshaber von Kairo, dem General
des Pionierkorps, dem General der Marine und seinem Adjutanten, dem Chefarzt und dem Chefchirurgen der Armee. Die Präsidentschaft übernahm in ständigem Wechsel jedes Mitglied,
so dass jeder einmal Präsident der Kommission wurde. Auf der gleichen Grundlage wurden in Alexandria, Damiette und Rosette untergeordnete Sonderkommissionen gebildet. Auf diese
Weise sollte zunächst eine Ansteckung und die Ausbreitung der Pest verhindert werden. So
war es möglich, vom Zentrum der Armee aus in unmittelbarer Nähe des Hauptquartiers
( Generalstab ) alle nur möglichen Schritte zur Gesundheitsfürsorge für die Ägypter und die
Armee zu übernehmen. Die außerordentliche Kommission stand in ständiger Verbindung mit
den drei Sonderkommissionen, deren Tätigkeit sie sorgfältig überwachte ( 66 ).

Ein Beobachtungskern war auf einem Punkt des Nils stationiert, um die auf den ost- und westziehenden Nilzweigen auf- und abfahrenden Schiffe oder Boote zu erkunden. Von dort aus
wurden sie unter Überwachung durch Gesundheitswächter zum großen Lazarett auf der Insel
Roda gefahren und dort unter Quarantäne oder Beobachtung gestellt. Gesundheitsdirektoren
oder -Inspektoren, die unter dem Befehl der außerordentlichen Kommission standen, ließen die betreffenden Menschen und Gegenstände, je nach Grad der Kontamination, in voneinander
isolierte, aber in derselben Zone gelegene Orte unterbringen. Die Menschen brachte man dann
in Schilfrohrhütten unter. Diese Hütten waren in Reihen angeordnet und voneinander durch
Zäune und Wege abgeteilt, so dass man nur auf Abstand mit den Betreffenden kommunizieren konnte. Die mit Pest infizierten Leute wurden in das Krankenhaus des Lazarettes gebracht.
Das Krankenhaus war in kleine Zellen aufgeteilt, in denen die Kranken untergebracht wurden.
Ein französischer Arzt und ein ägyptischer Hilfschirurg ( s. Abschnitt 21431 ) waren für die be-
sondere Betreuung dieser Kranken zuständig, die je nach Krankheitsgrad besonders behandelt
wurden. Der Präsident der außerordentlichen Kommission überwachte diese Einrichtungen sorg-
fältig. Er vertrat die Kommission insoweit, als er Befehle gab und diese völlig allein zu verant-
worten hatte. Ein Bericht über den Tagesablauf im Lazarett und im Krankenhaus wurde der Kommission jeden Tag zusammen mit den Krankenberichten und dem Stand
über das Fortschreiten der Krankheit mitgeteilt.

In den Hauptvierteln der Stadt waren ägyptische Kommissare stationiert, die die Aufgabe hatten,
jeden Tag die Häuser ihrer Zone zu besuchen, auf Sauberkeit zu achten, die genaue Zahl der
Toten zu registrieren, die genaue Todesursache festzustellen und der Kommission alles, was für
das öffentliche Gesundheitswesen ( Santé Publique ) von Wichtigkeit war, zu berichten. Wenn
sich ein Pestfall ereignete, wurde der Betreffende sofort isoliert und, falls er Franzose war, ins
Lazarett gebracht, wenn er Ägypter war, an einen anderen isolierten Ort, in jedem Fall aber von
einem französischen Arzt versorgt und überwacht. Auch alle Reisenden, ungeachtet ihrer Herkunft, wurden im Lazarett behandelt. Die Überwachung durch die Kommission erstreckte sich auf die
Lager, die Kasernen und die Bevölkerung im ganzen Land. Die Chirurgen der Regimenter, die
unter dem Befehl des Chefchirurgen standen, und Mitglieder der Kommission mussten jeden Tag
das Soldaten-Heim besuchen und der Kommission alles, was sich ereignete, berichten. Die Gesundheitsoffiziere der Armee ( Oberärzte der Krankenhäuser ) waren denselben Gesetzen unterstellt. Für die Franzosen schien diese Form der Überwachung sehr wirksam zu sein, währ-
end bei der einheimischen Bevölkerung in Kairo und Oberägypten 150.000 Todesfälle zu ver-
zeichnen waren ( 66 ) Anm. 33.

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216: Andere Epidemien

Die Armee wurde auch von anderen Epidemien heimgesucht, die aber nie so verheerende Folgen hatten wie die Pest. Die wichtigsten Krankheiten, die diese Epidemien mit sich führten, waren Gelbfieber, Pocken und Skorbut. Andere Krankheiten, berichtete Larrey, wie Lepra," Sarkozele ",
" Hodenatrophie ", Hepatitis, Tetanus, Typhus nahmen keine epidemischen Ausmaße an
( Anm. 34 ). Gegen diese Krankheiten wurden die gleichen Vorkehrungen wie gegen die Pest getroffen. Dank der vorbeugenden und überwachenden Maßnahmen gelang es den französischen Ärzten, die Krankheiten schnell unter Kontrolle zu bringen, so dass nur wenige ihnen zum Opfer
fielen ( 66, 12 ).

Im einzelnen soll über Gelbfieber ( 2161 ),Pocken ( 2162 ) und schließlich auch Skorbut ( 2163 ) berichtet werden.

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2161: Gelbfieber

Gelbfieber, das sich im Jahr 1800 ( April-Mai ) ausbreitete, nahm epidemische Ausmaße an,
während die Pest in dieser Periodekaum auftrat ( Anm. 29). Da hauptsächlich die Verwundeten erkrankten, glaubten die Soldaten, das Gelbfieber sei eine Folge der Komplikationen
von Wunden. Von 606 Verwundeten starben 260 an Gelbfieber. Der Ansteckungsgrad soll nicht so hoch gewesen sein, da das Gelbfieber sich nicht wie die Pest vom Erdgeschoß auf das 1. und 2. Stockwerk des Krankenhauses von Kasr-el-Aini ausbreitete. Man glaubte auch, dass die Rück-
kehr der Winde aus dem Norden für das völlige Verschwinden der Krankheit verantwortlich sei.
Nach akutem Fieberschub mit ikterischem Verlauf, Erbrechen, Delirium usw. wurden Schröpf-
gläser angewandt, Skarifikationen ( in Nacken und Scheitel ) oder kleine venöse Blutungen durch-
geführt sowie Tamarin, Kampfer und anderes als Arzneimittel verwendet

( s. Abschnitte ab 21431).

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2162: Pocken

In der Zeit vor und nach dem Auftreten des Gelbfiebers ( 1800 ) gab es zwei Pockenausbrüche
( 1799 und 1801 ), die schreckliche Folgen für die Bevölkerung hatten. In der Armee waren
jedoch weniger Krankheitsfälle zu verzeichnen. Ihre Methode zur Prophylaxe basierte auf rein-
en Vorsichtsmaßregeln: insbesondere die Beachtung von Hygienemaßnahmen und die Ver-
meidung von Kontakten mit der Bevölkerung, vor allem Basare und große Menschenansamm-
lungen. Kinder und Sklaven sollen am stärksten betroffen gewesen sein, obwohl eine Impfung
bei den Ägyptern bekannt war. Diese Impfung, die von den Matronen ( bzw. Badbesitzerinnen ) durch-
geführt wurde ( s. Abschnitt 21432) war meist eine Inokulation, die vermutlich öfter tödlich verlief,
als dass sie von prophylaktischem Wert war. Diese Inokulation, die schon in der Antike angewen-
det worden war, wurde folgendermaßen durchgeführt: Aus einem vereiterten Pickel eines Kranken
wurde mit einem Wattebausch etwas Eiter abgetupft und auf den Arm des zu Impfenden übertrag-
en. Larrey bedauerte später, dass während ihres Aufenthaltes in Ägypten niemand von der Ent-
deckung der Impfung nach Jenner ( 1796 ) wusste.

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2163: Skorbut

Etwa im August des Jahres 1801 lagen rund 1400 bis 1500 Skorbut-Kranke in den Hospitälern von Alexandria. Davon starben zwei bis fünf Kranke täglich. Aus der Bevölkerung sollen sechs bis acht Sterbefälle pro Tag registriert worden sein. Da die Ursache damals noch unbekannt war, wurden verschiedene Ursachen vermutet: das ägyptische Fladenbrot, welches zu salzig gewesen sein soll
( Bild ), ungewaschener oder " schlechter " Reis, das Fehlen von frischem oder sauberem Wasser, Mangel an Fleisch. Auch wurde festgestellt, dass diejenigen, die bereits an irgendeiner anderen Krankheit litten, anfälliger waren als Gesunde. Ferner behauptete Larrey, dass die Offiziere, die
eine bessere Diät genossen, besser geschützt waren als die Soldaten. Gut gegen Skorbut sollen Essig, gewaschener frischer Reis, Datteln, Rübenkraut und Kaffee gewesen sein sowie Pferde-
fleisch, was französiche Soldaten und Ägypter zum ersten Mal und mit Entsetzen sahen ( 66, 9 ).

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217: Ende der Expedition und Beginn der britischen Belagerung (1801-1807)

Wegen der politischen Lage in Frankreich sah sich Napolen gezwungen, Ägypten kurzfristig zu verlassen und übergab die Macht an General Kleber. Am 17. August 1801 griffen die britischen Truppen alle französischen Stützpunkte an und es gelang der Flotte, in den Hafen von Alexandria einzudringen. Die Franzosen unterzeichneten die Kapitulation am 31. August 1801 unter der Bedingung, dass alle Franzosen heimkehren durften.

So wie einst die französische wurde nun auch die britische Armee von Krankheiten befallen, so
dass ihre Lazarette überfüllt waren. Larrey besichtigte die britische Lager und Krankenhäuser.
Dabei wurde er vom Generalinspekteur für Gesundheit der englischen Armee, Mr Jung ( Monsieur Yonck ) begleitet ( 66 ). Er hatte im großen und ganzen nichts zu bemängeln. Sie waren mit
allem Notwendigen ausgerüstet. Er kritisierte aber die Amputationen und wies auf die seiner Mein-
ung nach große Überlegenheit der Franzosen auf dem Gebiet der Chirurgie hin. Er sah, dass eine große Zahl von Indern in den Lazaretten waren, die Ägypten vom Roten Meer aus angegriffen
hatten. Es fiel Larrey auf, dass diese, im Gegensatz zu den Briten, weniger an Ophthalmie und
an Pest litten, wahrscheinlich, so Larrey, weil diese besser akklimatisiert waren.

Die Engländer verloren während ihrer Belagerung 1801 bis 1802 in Rosette und Alexandria insge-
samt 692 Soldaten durch die verschiedensten Krankheiten, überwiegend Pest, Dysenterie und Gelbfieber. Von 7886 Soldaten wurden 158 als Invaliden nach England zurückgeschickt; es waren Blinde, Gelähmte und Beinamputierte .

Zwischen dem 23. September und dem 17. Oktober 1801 kehrten alle Franzosen nach Frankreich zurück. Larrey segelte am 17. Oktober 1801, nicht ohne Traurigkeit, auf einer englischen Fregatte,
mit Namen " Diane ", nach Frankreich zurück
( 68, 66 ).

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22: Die Zeit von Mohammed Ali ( 1806 - 1849 )

1805 wurde Mohammed Ali Herr des Landes, 1806 Vizekönig. Zunächst befahl er 1807 den Briten,
das Land zu räumen. 1811 ließ er nach einem Hinterhalt seiner Gegner die Mamelucken beseitig-
en. Nun begann er, das Land neu zu gestalten und zu reorganisieren, mit dem Ziel, alle seine Hilfsquellen materiell und geistig zu nutzen. Um dieses Ziel zu erreichen, holte er sich Fachkräfte
aus vielen Nationen, meist Franzosen und Italiener, als Lehrer, Ingenieure, Ärzte und Handwerker.
Er hatte auch nichts dagegen, dass tüchtige Ausländer aus eigener Initiative zum Guten des
Landes beitrügen. Nicht nur der Beginn des Baues einer Eisenbahn-Linie, die Verlegung von Telegraphenleitungen und die Erweiterung von bebauten Landflächen durch Dämme und Kanäle,
die für die Baumwollerträge großen Verdienst brachten, sondern auch die medizinische Versorg-
ung, Ausbildung und die Stadtsanierung in Kairo und Alexandria sind ihm zu verdanken ( 70, 50 ).

Nach einem besonderen Abschnitt über Umweltschutz und Städtesanierung (221) sollen die Maßnahmen des französischen Leibarztes Clot Bey (222) ausführlich behandelt werden.

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221: Umweltschutz und Städtesanierung im 19. Jahrhundert

Die große Pest von 1817, die Asien und Europa heimsuchte und verheerende Folgen hatte,
machte den Europäern große Sorgen, was dazu führte, weiter nach der Ursache der Pest-
Erkrankung zu suchen. Nach jahrelangen Überlegungen kam man zu der Überzeugung, dass
die Quelle in Ägypten zu finden sei. Mit dieser Aufgabe wurde eine französische Kommission,
geleitet von Pariset ( begleitet von Dumont, Lagasquis, Guillon, Darcet und Bös ), beauftragt
und nach Ägypten entsandt.

Da man Bakterien noch nicht kannte, ging man von falschen Voraussetzungen aus. Nach kurzem Aufenthalt in Ägypten, der sie durch das ganze Land, einschließlich Nubien, den Oasen Fayourn, Natrunsee sowie nach Palästina und Syrien führte, kam die Kommission zu dem Schluss, dass
die Pest im Deltagebiet ihren Ursprung hatte. Sie war genauso endemisch wie Dysenterie und
" Ophthalmie " und vergleichbar mit den Pocken. Doch waren Todesfälle bei Typhus und der selteneren Malaria ( zum ersten Mal erwähnt ) nicht so häufig zu verzeichnen wie bei der Pest.
Da die Pest fast immer kurz nach oder während Überschwemmungsperioden auftrat, nahm man
an, dass ein Zusammenhang zwischen stärkerer Feuchtigkeit und Hitze einerseits und der Verwe-
sung von sehr häufig zu findenden Kadavern andererseits bestünde. Die Ägypter hüllten ihre Toten
meist in teure Seidentücher, bevor sie sie bestatteten, und legten den Leichnamen häufig Sch-
muck bei. Aus Furcht vor Grabschändern oder Räubern begruben sie ihre verstorbenen Angehöri-
gen im Hof ihres Hauses. Die Ärmeren jedoch bestatteten ihre Toten auf einem der zahlreichen Friedhöfe. Diese Ruhestätten lagen sehr häufig unweit des Nilufers. Bei Ebbe wurden oft Teile der Gräber durch das Wasser, das manchmal weit in die Stadt eindrang und somit auch die Höfe der Häuser erreichte, weggerissen. So gelangten Leichen in die Kanäle und in die nach der Übersch-
wemmung entstandenen Tümpel. Die Gräber füllten sich mit Wasser und beschleunigten so die Verwesung. Ebenfalls aus Sicherheitsgründen hielten die Bewohner in den Dörfern, an den Stadt-
rändern und in den ärmeren Vierteln Haustiere wie Katzen, Hunde, Lämmer, Ziegen sowie Büffel,
Esel und Kamele in ihrer unmittelbaren Nähe.

Im Deltagebiet und in Kairo, wo man schon damals von dicht besiedelten Gebieten sprach,
gab es außer Alexandria und Rosette kaum eine Gemeinde oder ein Dorf, das nicht mit Schutt,
Asche und Abfall überladen war. In Kairo gab es außerdem zahlreiche Ruinen, räudige und herumstreunende Hunde, Kloaken und einen großen Sammelkanal, der die Abwässer auffing.
Dieses und zusätzlich die zwischen prachtvollen Gebäuden und hohen Moscheen entstandenen dunklen, engen, meist ungepflästerten Straßen, verschlungene Wege und Sackgassen, in denen
sich der Schmutz und unsaubere, feuchte Luft ansammelten, haben nach damaliger Ansicht der
Ärzte dazu geführt, dass die Pest entstehen konnte. Allein die schlechte Luft und die Feuchtigkeit, meinten sie, waren für die hohe Kindersterblichkeit in dieser Zeit verantwortlich.

Dank der von der Regierung unternommenen, strikten Maßnahmen verbesserte sich der Zustand
der Stadt. Die Straßen wurden sauberer und die Epidemien seltener. Die Friedhöfe wurden verlegt
und zentralisiert. Pariset empfahl, die Toten wie bei den alten Ägyptern zu mumifizieren oder die Leichen mit einigen Schichten Natron zu bedecken, bevor das Grab geschlossen wurde.

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Kairo-Boulaq 1807( 68 ) und 1983

Mohammed Ali ließ die Industrieanlagen in Saftieh, nordöstlich von Boulaq konzentrieren.
Die riesigen Mengen von Schutt und Müll benutzte man, um die Untiefen, Tümpel und Sümpfe aufzufüllen, so da z.B. der Müllhaufen von Birket-Kasim-Bey vor dem Institut Français ver-
schwand. Der Platz von Esbekiyeh, der sich während der Überschwemmung in einen See und
nach der Ebbe in einen Sumpf verwandelte, wurde drainiert und geebnet ( Bilder ); ebenfalls
wurde Birket ar-Ratl drainiert und in ein Gemüsefeld umgewandelt. Das Viertel von Birket el-Fil
wurde völlig verändert, der Abwasserkanal wurde unterirdisch angelegt. Außerdem wurden die
Tümpel mit dem Müll der Umgebung aufgefüllt und der Boden zum Bau der Paläste Hilmiya
und Darb-el-Gamaniz geebnet. Man reorganisierte den Moristan und baute neue Krankenhäuser.

Für den Verkehr wurden die Straßen erweitert, indem man Bauten wie die " Mastabas "
( Steinbänke vor den Häusern ) entfernte, so dass große Pferdekutschen fahren konnten, die
die Kamele und Esel als Verkehrsmittel ersetzen sollten ( 103 ).


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Esbekeja-Platz 1807 ( 68 ) , 1860 ( 72 ) und 1983


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222: Clot Bey, der französische Leibarzt und Chirurg

Gegen 1824 zählte die ägyptische Armee, die hauptsächlich aus Fellachen bestand ( 51 ),
50.000 Mann, die in Kairo und in verschiedenen Teilen des In- und Auslandes wie Sennar,
Kordeofan, Hegaz ( Pilgerstädte ) und Kreta stationiert waren. Die dringend benötigte ärztliche
Hilfe für diese Truppen, die Ausbreitung der Pest in Kairo und die ständig wachsenden Probleme
im Gesundheitswesen, die nicht gelöst werden konnten, veranlassten Mohammed Ali, Ärzte aus Europa zu holen, statt weitere Einheimische einzustellen ( s.auch Abschnitt 21431ff ).

Bei seiner Ankunft in Ägypten fand Clot sehr schlechte hygienische Verhältnisse vor. In den Ausbildungslagern, bestehend aus 25.000 Mann, waren die epidemischen Zustände erschreck-
end. Die Todesfälle durch Pocken zählten bis zu 6.000 im Jahr ( 41 ).

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Clot Bey ( 15 )

Während der Anfangszeit seines 5-Jahres-Vertrages war Clot mit der Neugestaltung der medizinischen Versorgung beschäftigt. Er hielt es für äußerst wichtig, mit mehreren Ärzten
für die Armee zu arbeiten und gegen die Seuchen zu kämpfen. Dazu ließ er 150 Ärzte, meist
Italiener und Franzosen, und einige Deutsche wie die Gebrüder Iken, ferner Fischer und
Pruner, ins Land kommen. Gleichzeitig sah er aber auch die Notwendigkeit, einheimische
Ärzte auszubilden und gründete daher 1827 die Medizinische Schule in Abou-Zaabal ( 18 ).
Diese war zunächst ein großes, einstöckiges Gebäude, 200 qm groß, das 800 bis 1.000
Patienten Aufnehmen konnte.

Der schwer zerstörte Palast von Kasr-el-Aini, der einst den Franzosen als Krankenhaus gedient
hatte, war 1812 im griechischen Stil restauriert worden ( 70 ). Dorthin wurde fünf Jahre später wegen der günstigeren Lage die Medizinische Schule verlegt. Das Krankenhaus, das auf der Insel Roda lag, wurde nun so konzipiert, dass es 1.000 bis 1.500 Kranke aufnehmen konnte. Außerdem wurde
es mit genügend Unterrichtsräumen ausgestattet und konnte 300 Studenten beherbergen ( 19, 15 ).

Als zweiter Leibarzt wurde Antonio Collucci an den Hof von Mohammed Ali gerufen. Er wurde
später Vizepräsident des Gesundheitsrates und Inspektor des Sanitätsdienstes der Marine und gleichzeitig Präsident des internationalen Sanitätswesens in Ägypten. Er hat sich um die Bek-
ämpfung der Pest und der Cholera-Epidemien ( 1830 ) verdient gemacht.

Clot Bey glaubte nur an die westliche Medizin. Für ihn bestand die ägyptische einheimische
Heilweise nur aus Aberglauben, Religion oder Zauberei. Als Clot mit seiner Arbeit begann, standen Gesundheitswesen und Krankenhaus administration völlig unter der Leitung von Barbiere die nicht bereit waren, den neuangekommenen Ärzten Platz zu machen. Er weigerte sich zunächst, mit
ihnen zusammen zu arbeiten, da er sie für die schlechten medizinischen Verhältnisse verantwort-
lich machte. Es kostete ihn viel Mühe, bis es ihm mit Hilfe des Ministers gelungen war, die Barbiere von der medizinischen Versorgung und den Kranken häusern fernzuhalten, obwohl diese ihrerseits gern mit den europäischen Ärzten zusammen gearbeitet hätten ( 19 ).

weiter»» 21431-22224 ägyptische einheimische Medizin,

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223: Conseil Sanitaire

Trotz der Fortschritte in der medizinischen Ausbildung und Versorgung waren die hygienischen Zustände im Lande noch sehr verbesserungsbedürftig. Bis daher meinte man, die Pest in Europa
sei die einzige Krankheit, gegen die man etwas unternehmen müsste ( 84 ). In Frankreich wurde
nach den Gesetz von 1822 ein Conseil Sanitaire gegründet, der eine Kommission beauftragte,
genau festzusetzen, welche Krankheiten als ansteckend galten. Folgende Krankheiten legte man
als infektiös fest: die Pest des Orients, Gelbfieber,Typhus, Lepra und die Cholera aus Indien. Die Maßnahmen von Clot basierten zu dieser Zeit auf dem französischen System. Er hatte das Gesundheitswesen anderer Nationen sorgfältig studiert und kam zu der Überzeugung, dass
die Maßnahmen der Franzosen am wirksamsten seien. Trotz abnehmendem Fatalismus glaubte
der Großteil der Bevölkerung immer noch, die Pest sei ein durch den Zorn Gottes verhängtes Übel.
Clot war der Auffassung, sie sei nicht ansteckend, und hat dementsprechend im Bereich der Quarantäne nichts unternommen. Außerdem betrachtete er die Pest wie auch Typhus, Pocken
und intermittierendes Fieber als endemisch und hielt Maßnahmen für überflüssig.

Im Sommer 1831 wurden einige Europäer und ägyptische Soldaten, die sich in Mekka aufhielten,
von einer tödlichen Krankheit befallen, die alle Symptome der indischen Cholera aufwies. Zuerst herrschte die Meinung, es handele sich um die Pest. Die Geistlichen und die einheimischen Ärzte Mekkas aber widerlegten diese Vermutung mit dem Hinweis auf einen Satz des Korans, die Pest
sei für immer aus dem heiligen Ort verbannt. Auf Anordnung der Geistlichen wurden keine Trom-
meln oder andere Instrumente der ägyptischen Armee gespielt, denn als Erfindung der Ungläu-
bigen hätten diese durch ihren Lärm die Ruhe der heiligen Orte gestört und somit das Haus
Gottes geschändet, der durch seinen Zorn nicht die Pest ( denn Gott hielt sein Versprechen an
den Propheten ), sondern eine andere Krankheit sandte, die nicht solche verheerenden Folgen
wie die Pest hatte.

Der zu dieser Zeit gebildete ägyptische Conseil Sanitaire bestand aus fünf Mitgliedern,darunter
Ärzte, Chirurgen und Apotheker, mit Clot Bey als Präsidenten. Ausgehend davon waren unter-
geordnete Sanitätseinheiten unter ärztlicher Leitung an verschiedenen Gebieten, Städten oder Gemeinden stationiert.

Um nun die Ausbreitung der Cholera, die in Mekka ausgebrochen war, zu stoppen, ordnete man
an, dass die Soldaten, die aus Fellachen und Beduinen bestanden und von Ärzten begleitet
wurden an die Schwerpunkten gingen um Cordons Sanitaires ( Sanitätsbariere ) zu bilden.
Z.B. in Richtung Suez waren 50 Beduinen unterwegs, die von einem europäischen Chirurgen
begleitet wurden.

Trotz dieser Maßnahmen ließ sich die Cholera, die gleichzeitig in Indien, Persien und im Jemen herrschte, nicht stoppen und es dauerte nicht lange, bis sie Kairo erreichte, wo sie bisher nicht aufgetreten war. 30.000 Menschen wurden von ihr befallen von denen innerhalb von acht Tagen
600 starben von 300.000 Einwohnern . Einen Monat später starben in Berlin von 225.000 Ein-
wohnern 9.000 und ein Jahr später in Paris, rund 18.000 von rund 700.000 Einwohnern, wo
zum ersten Mal in seine Geschichte Cholera auftrat.

Nicht nur Muslime glaubten, dass Gott diese Krankheit gesandt habe. Ein Engländer, Sir Gilbert Blane, behauptete im selben Jahr ( 1831 ), als die Cholera England zu erreichen drohte, es sei
die Aufgabe der Ärzte, die Kirche auf diese Gefahr hinzuweisen, damit die Geistlichen der Bevölk-
erung Gottes Macht deutlich machen sollten. Auch 20 Jahre später, während der ersten interna-
tionalen Sanitätskonferenz in Paris, meinte der österreichische Arzt M.G. Ménis, dass die Pest
eine Krankheit sei, die alle Bevölkerungsschichten befalle, während die Cholera eine Krankheit
sei, die die unteren Schichten, aber auch die schmutzigen, heruntergekommenen, älteren und gebrechlichen, durch Krankheit geschwächten Menschen treffe. Die beste Methode, sie zu be-
kämpfen, sei Mut, geistige Ruhe und Glaube. Deshalb wurde die Cholera als ein göttlicher Wind angesehen, der zur Erde geschickt worden war, um die Menschen, die nicht auf ihre Gesundheit achteten, zu bestrafen ( 84, 19, 48 ). Dementsprechend sollten die Regierungen und Ärzte Maß-
nahmen ergreifen, um die Moral und Gewohnheiten dieser Menschen zu verbessern. Die Cholera wurde als Geißel betrachtet, die geschickt worden war, nicht um die Menschheit zu vernichten, sondern um sie zu bestrafen und zu bessern. Ménis war ebenso wie die Engländer, Russen und Spanier der Ansicht, die Cholera sei nicht ansteckend, und meinte weiter, dass Quarantäne nicht
nur nutzlos sei, sondern auch gefährlich für die Erhaltung und Zivilisation der Menschheit.

Als die Cholera die Hauptstadt erreichte, ordnete der Vize-König an, sofort Maßnahmen zu er-
greifen, um die Pilger bei ihrer Rückreise nicht ins Land zu lassen, bevor man nicht ganz sicher
war, dass sie völlig gesund und frei von jeglicher ansteckenden Krankheit seien. Dafür wurde an
den zwei Kommunikationspunkten - Suez und Kosseir - eine rigorose Quarantäne errichtet.

Außer dieser Maßnahmen führte Clot Bey die Pockenschutzimpfung nach Jenner ein. Hierfür
bildete er 2.500 Misajen ( Barbiere ) aus, die die Impfung bei der Landbevölkerung durchführen
sollten. Allein im Krankenhaus El-Esbekiya wurden jährlich 15.000 Kinder geimpft ( 70, 57 ).

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224: Der Tierarzt Pierre-François Hamont und die Beschreibung einiger endemischer Krankheiten

Es war den Ärzten auch aufgefallen, dass nicht nur viele Menschen, sondern auch vieleTiere bei Epidemien starben, vor allem für den Menschen nützliche Tiereu u.a. Büffel, Ziegen und Schaf .
Eine Untersuchung und Kontrolle war nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen dringend notwendig, sondern auch, um zu sehen ob dies sich um die gleichen Krankheiten waren wie bei den Mensch-
en und ob sie ansteckend waren. Dementsprechend wurde eine Veterinär-Schule gegründet, in
der die Einheimischen ausgebildet werden sollten. Damit wurde der französische Tierarzt Pierre-
François Hamont beauftragt ( 18 ).

Hamont befasste sich aber nicht nur mit Tieren. Da diese in unmittelbarer Nähe des Menschen gehalten wurden, konnte er auch die Lebensgewohnheiten der ärmeren Bevölkerung und die der Fellachen genau beobachten.

Mohammed Ali brauchte weiterhin kräftige und gesunde Männer für seine große Armee. Es war
also notwendig, diese zu suchen, um eventuelle Maßnahmen für gesunden Nachwuchs zu
ergreifen. Man behauptete zu dieser Zeit, dass außer den Umweltbedingungen auch noch die
Nahrung und die Essgewohnheiten der Ägypter auf ihre Gesundheit und vor allem auf das Auftret-
en von Epidemien einen großen Einfluss gehabt haben soll.

Einige Ärzte behaupteten, dass in den Gebieten, in denen Mais gegessen wurde, stärkere und gesündere Menschen lebten, als in den Gegenden, in denen Roggen oder Weizen als Nahrung verwendet wurde. Hamont war anderer Meinung. Besonders in Unterägypten, wo viel Mais ge-
pflanzt wurde, wären die Menschen sehr schwach, apathisch, blass oder gelbhäutig und un-
zähligen Übeln ausgesetzt. Mais sollte auch gut gegen Steinleiden, Epilepsie u.a. gewesen
sein.. Hamont meinte jedoch, dass nicht der Mais, sondern Gott die Menschen vor Krankheit-
en schütze. Seiner Meinung nach kämen Steinleiden und Epilepsie dort vor, wo der meiste Mais gepflanzt wurde. Steinleiden traten auch dort häufig auf, wo es sumpfig war und weil das Wasser
dort sehr kalkhaltig gewesen sein sollte. Außerdem sollen die schwangeren Frauen dieser Ge-
genden alles andere als robust gewesen sein und in der Regel zu wenig und schlechte Mutter-
milch gehabt haben. Ihre Säuglinge wären eher schwach und krank gewesen. Der Verzehr von
Mais sei alles andere als gesund. Er soll Diarrhöe verursacht haben und es gäbe kaum einen
Ägypter, der nicht Weizen dem Mais vorgezogen und sein Maisbrot gegen Roggen- oder Weizen-
brot eingetauscht hätte. Außerdem meinte Hamont, dass Mohammed Ali weniger Schwierig-
keiten gehabt hätte, Männer zu rekrutieren, wenn Mais wirklich ein gesundes Nahrungsmittel
gewesen wäre. Er sah auch, wie man die Männer zu zweit gebunden, fast nackt, abgemagert,
meist von Würmern," Krätze " oder Geschlechtskrankheiten befallen, transportierte. Von 1.000 Männern im Alter zwischen 15 bis 30 Jahren seien nur 90 tauglich gewesen.

Nicht nur die Nahrung, sondern auch andere Gründe, wie z.B. der Zustand der Sklaverei, Despotismus, Zerstörung und Enttäuschungen, die sie ständig erlebten, beeinflussten ihre
Gesundheit ,meinte Hamont weiter. Die Fellachen aßen grünes Gemüse, Brot aus Baumwoll-
kernen, sie verzehrten viele Zwiebeln, übelriechenden, in Salz eingepökelten Fisch; sehr salzigen Käse, der wie Kreide ausgesehen haben soll u.a. Sie tranken unsauberes, häufig noch Erde enthaltendes Wasser. Nach Meinung des Tierarztes ernährten sich die Fellachen nicht aus-
reichend, um sich gegen Diarrhöe, Dysenterie, Lebererkrankungen, Blähbäuche, blasse oder
vergilbte Haut und gegen Ödeme, unter denen vor allem die Fellachen in den sumpfigen Gebieten litten, zu schützen. Die Ernährung soll auch dazu beigetragen haben, dass zwei Drittel der Bevölkerung an Augenerkrankungen litten, die in Form von " Ophthalmien " und Hornhautulzera auftraten und die häufig zur Erblindung führten. Experimente an Pferden, Ochsen, Schafen und Hunden hatten gezeigt, dass " stickstoffhaltige " Nahrung, verbunden mit Hitze, Wind und Staub,
 " Ophthalmien " verursachte. Entgegen der Meinung anderer Ärzte, sollen auch bei Beduinen
" Ophthalmien " aufgetreten sein. Hamont konnte trotz seines mehrmaligen Eingreifens kaum verhindern, dass auf den Märkten das Fleisch kranker Tiere, die man kurz vor ihrem Tode
schlachtete, verkauft wurde. Die Menschen setzten lieber ihre Gesundheit aufs Spiel, als auf
den Kauf dieses viel billigeren Fleisches zu verzichten. Obwohl es viele Schafe im Lande gab,
wussten die Fellachen nicht richtig mit ihnen umzugehen, meinte Hamont. Die Fellachen waren außerdem schlecht oder zu leicht bekleidet, dennoch wurden die Schafe in die Fabriken
transportiert. Ihre Wolle wurde nicht für Kleider, sondern für die Produktion von Decken für die Regierung und die Armee verwendet.

Hamont berichtet weiter, dass im Jahr davor ( 1831 ) ein Mangel an Weizen zu verzeichnen war
und die Bevölkerung sich infolgedessen mit Linsenbrot oder sehr hartem Knäckebrot ernähren
musste, das aus Resten dessen, was beim Polieren von Reis übrig blieb, gebacken wurde. Diese Brote waren so ungesund, dass die Menschen nach dem Genuss " Krätze" oder andere Haut-
erscheinungen, Herzklopfen und Übelkeit bekamen. Während sie verhungerten, verdarben Berge
von Weizen im Hafen von Rosette ( 36, 47, 99 ).

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225: Intendance Sanitaire

1833 herrschte die Cholera nicht mehr, und auch die Pest war seit zwei Jahren ausgeblieben.
Um nicht mit den Geistlichen und den Pilgern in Konflikt zu geraten ( 48 ), wurden Quarantäne-
maßnahmen, bis auf die im Hofe des Vizekönigs und seiner Armee, wieder aufgehoben. Dies
lag auch an der konservativen Haltung von Clot Bey, der nicht an die Ansteckung durch Pest
und Cholera glaubte.

1834 wurde das Land nochmals von der Pest heimgesucht, die im ganzen Land 300.000 Opfer forderte, davon allein in Kairo 70.000 ( von 300.000 Einwohner Kairos ). Um zu untersuchen, ob
die Pest nun wirklich durch die Pilger eingeschleppt wurde, entsandte man 1835/36 eine ägyp-
tische Expedition zu der Heiligen Stätte. Diese Expedition wurde von den deutschen Ärzten
Sebastian Fischer, Franz Pruner und den Gebrüdern Ikens begleitet. Sie stellten fest, dass
einige Pilger von der Pest befallen waren und so möglicherweise die Krankheit eingeschleppt
wurde ( s. oben )

Man einigte sich mit Clot Bey trotz seiner gegenteiligen Auffassung darauf, doch strengere Maßnahmen zu ergreifen. Inzwischen waren 400 einheimische Ärzte, die an den Kairoer Schulen ausgebildet worden waren, hinzugekommen. 1841 wurde mit den Vorbereitungen der Intendance Sanitaire begonnen ( 112 ), die 1852 von Professor Sigmund aus Wien beschrieben wird
( Anm.45 : Quellentext ).

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